Kritische Richter


27.01.2006 / LOKALAUSGABE / KLEVE


Begründung des Oberverwaltungsgerichts liegt vor. Bemerkenswert: Zweifel an der Wirtschaftlichkeit.
KREIS KLEVE. Sie ist 56 Seiten lang und liegt seit gestern vor: die schriftliche Urteilsbegründung des Oberverwaltungsgerichts (OVG), das - wie berichtet - am 3. Januar die zivile Nutzung des Flughafens Niederrhein aufhob.

Es sind die Details, die bei der ersten Durchsicht ins Auge fallen: Auf mehr als 20 Seiten äußern sich die Richter ausführlich zu der planerischen Abwägung der Bezirksregierung im Rahmen der luftrechtlichen Genehmigung. Urteil: mangel- und fehlerhaft. Ein Vorwurf, an dem die Bezirksregierung schwer zu schlucken haben wird. Denn das OVG bestreitet nicht grundsätzlich das öffentliche Interesse am Flughafen in Weeze, hängt allerdings etliche Fragezeichen an.

Richter melden Zweifel an

So haben die Richter nachhaltige Zweifel am Bestehen der "Notwendigkeit einer Nachfragebefriedigung durch zivilen Flugverkehr": "Es versteht sich von selbst, dass Flugverkehr nicht allenthalben vor Ort angeboten werden kann."

Das oft zitierte Argument, die Chance Weezes könne in einer Kooperation mit Düsseldorf oder Schiphol liegen, die in naher Zukunft ihre Kapazitätsgrenzen erreichen, lassen die Richter nicht gelten: Gut ausgelastete Flughäfen seien offensichtlich und aus wirtschaftlicher Betrachtung nachvollziehbar nicht bereit, Verkehr anderen Flughäfen zu überlassen. Das berge die Gefahr in sich, dass sich mehrere Flughäfen auf einen Verkehr ausrichten, der letztlich von dem am stärksten frequentierten Flughafen aufgenommen werde. Damit würden Konkurrenzsituationen entstehen.

Hinzu komme, dass der Airport Niederrhein im NRW-Luftverkehrskonzept 2010 kaum eine Rolle spiele. Im Gegenteil: Das Landesinteresse ziele darauf hin, den Flughafen Düsseldorf zu stärken.

Näher beleuchtet wird in dem Urteil ferner der Billigflugverkehr. In diesem Punkt habe sich die Bezirksregierung bei ihrer Abwägung etlichen Fragen nicht gestellt. Außerhalb der Tageszeit Flüge zuzulassen, sei für Frachtverkehr möglicherweise dringend erforderlich, für Billigflugverkehr lediglich eine Attraktivitätssteigerung, attestieren die Richter.

Ein gesteigertes öffentliches Interesse an der Schaffung von Arbeitsplätzen in der Region vermag das Gericht ebensowenig wie den Aspekt der Wirtschaftsförderung zu erkennen. Das sei halt kein "Totschlagargument", so Johannes Bohl, Anwalt der 16 Zivilkläger. Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Kreis Kleve nach einer aktuellen Focus-Umfrage auf Platz 47 von 427 der wirtschaftsstärksten Landkreise und kreisfreien Städte liege und damit zu den wirtschaftlich privilegierten Regionen zähle.

Luftrechtliche Genehmigung

Insgesamt würden sich seine Mandanten durch das Urteil in ihren Kritikpunkten bestätigt fühlen, betont Bohl. Wobei für ihn die attestierten Mängel an der Umweltverträglichkeitsstudie - die der Anwalt des Flughafens im Jahr 2000 angeregt, die Bezirksregierung als nicht notwendig abgelehnt habe - nur ein "Schmankerl" sind. Die entscheidenden Punkte seien Fehler und Mängel der Bezirksregierung bei Abwägung und Plangenehmigung. Für den Anwalt liegt nahe, dass eine korrekte Abwägung zu wesentlichen Einschränkungen bei Betriebszeiten und Kapazitäten geführt hätte. Wenn eine neue luftrechtliche Genehmigung erforderlich sei, "wird es den Flughafen so nicht mehr geben", prognostiziert Bohl.

Der Rechtsanwalt bezweifelt, dass die von der Bezirksregierung angekündigte verfahrensrechtlich mögliche Beschwerde auf Nichtzulassung der Revison beim Bundesverwaltungsgericht Erfolg hat.

Dazu habe die Bezirksregierung bis zum 27. Februar Zeit, betonte deren Sprecher Hans-Peter Schröder. "Wir werden die Urteilsbegründung von einem Spezialisten analysieren lassen." Die u. a. von CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla für den Fall des Scheiterns angeregte Interimslösung zur Sicherstellung des Flugverkehrs halte die Bezirksregierung für "sehr interessant". Näher definieren wollte Schröder das nicht. Der Flughafen wolle die 56 Seiten von einem Juristen studieren lassen und vorher keine Schlüsse ziehen, so Sprecher Holger Terhorst. Der Kreistag wird sich in einer Sondersitzung vermutlich am 7. Februar damit befassen.


GABY BOCH