Es wird vorläufig weiter geflogen
17.10.2008 / Lokalausgabe

GABY BOCH

LEIPZIG. „Für Sie und für uns eröffnet sich ein Irrgarten", merkte der Vorsitzende Richter des Bundesverwaltungsgerichts, Professor Dr. Rojahn, gestern bei der mit Spannung erwarteten mündlichen Verhandlung zum Airport Weeze in Leipzig an. Denn seit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster – das im Januar 2006 dem Flughafen Niederrhein die Betriebsgenehmigung entzog – hat sich in punkto Luftverkehr und Flughäfen-Umweltverträglichkeitsprüfungen einiges in der Rechtssprechung geändert.

Fehlerhaftes nun nachbessern

Ein Urteil gibt es allerdings nicht. Das Bundesverwaltungsgericht verwies den Rechtsstreit zurück ans Oberverwaltungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung. Vor allem darüber, ob bestätigte Verfahrensfehler von den Beklagten (also dem Flughafen) in einem ergänzenden Verfahren behoben werden können – oder ob die Genehmigung für die zivile Nutzung des Airports ersatzlos aufzuheben ist.

Das BVG bestätigte die Ansicht aus Münster, dass die Flughafenbetreiber besonders die Zulassung der Fliegerei nachts sogar bis ein Uhr und morgens ab fünf Uhr nicht auf eine „hinreichend differenzierte und detaillierte Bedarfsanalyse gestützt" hätten und „deshalb das Gewicht des Flugbedarfs gegenüber den Lärmschutzbelangen der Kläger fehlerhaft beurteilt" worden sei. Bis zur Entscheidung nach einem neuen Termin in Münster aber darf der Flugbetrieb fortgeführt werden.

Formale Rechtsfragen wurden gestern verhandelt. Kläger – sprich: Bürgermeister Klaverdijk aus Bergen, Ahmed Siegel und Heike van Straelen von der Aktionsgemeinschaft gegen Fluglärm und Luftverschmutzung – sowie auf der anderen Seite Ludger van Bebber, Holger Terhorst und Reinhard Gilleßen vom Flughafen Niederrhein und die Bezirksregierung waren mit ihren Anwälten nach Leipzig gereist. Im Gerichtssaal des imposanten historischen Gebäudes hatten ausschließlich die Anwälte und der Vorsitzende Richter das Wort.

Wichtigster Punkt der Anhörung: Entspricht die 2001 von der Bezirksregierung erteilte Betriebsgenehmigung dem Ist-Zustand? Die Konversion (Umwandlung einer militärischen in zivile Nutzung) basierte damals auf dem Konzept des Euregionalen Zentrums für Luftverkehr, Gewerbe und Logistik. Inzwischen habe sich das Projekt mehr zu einem Lowcost-Flughafen entwickelt – Billigflieger hätten einen anderen Stellenwert und damit auch der Flughafen Niederrhein.

Eine Trennung zwischen Linien-/Chartflügen und Lowcost sehe das Luftverkehrsrecht nicht vor, betonte Anwalt Dolde, der die Bezirksregierung vertritt. Genau das sei aber vom Oberverwaltungsgericht Münster zur Grundlage gemacht worden. Lowcost sei ebenfalls Linie, befand er. Und auch, dass sich an dem Drei-Säulen-Konzept Luftverkehr, Gewerbe und Logistik bis dato nicht geändert habe. Dass es an Gewerbeansiedlungen und Logistik hapere, liege daran, dass es bis gestern kein rechtskräftiges Urteil gegeben habe. Das Nachtflugverbot halte zudem potenzielle Anbieter wie HDL von Weeze ab. Zur Existenzberechtigung es Flughafens Niederrhein – die die Münsteraner Richter zumindest infrage gestellt hatten – merkte Dolde an: Weeze stehe in der Rangliste der Regionalflughäfen auf Platz 3.

Derartige Billigairlines dienten nur dem Interesse des schnellen Konsums, konterte der Duisburger Anwalt Uwe Ring, der Ahmed Siegel vertritt. Damit sei eine geänderte Abwägung notwendig. Anders als zu Zeiten militärischer Nutzung werde in Tagesrandzonen – eben spätabends und am Wochenende – häufiger geflogen.

Breiten Raum nahm die Kritik des Oberverwaltungsgerichts an der fehlenden formalen Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) seitens der Bezirksregierung ein. Nach der damaligen Rechtsprechung sei das nicht notwendig gewesen, man habe aber Lärm- und Umweltauswirkungen geprüft, betonte deren Anwalt. Mittlerweile hätte die Bezirksregierung die UVP längst nachholen können, kritisierte das Gericht und verlangt auch hier Nachbesserungen.

EINSCHÄTZUNG „Wenn wir gewinnen, haben wir verloren", fürchtete Kläger-Anwalt Ring. Denn für eine neue Genehmigung würde die Bezirksregierung alle strittigen Punkte nachbessern: „Dagegen haben wir dann keine Chance mehr."

Auf gerechte Entscheidung vertraute Dr. Alexander Otto, Anwalt der Gemeinde Bergen: „Das Gericht hat sich viel Mühe gegeben." Eine grundlegende Entscheidung gab es „es in dieser Tiefe zu Konversionsprojekten noch nicht".
Kläger, Beklagte, Anwälte gestern in Leipzig, vorn r.: Airport-Chef van Bebber. (Foto: Christian Nietsche)