Das fliegende Klassenzimmer

25.02.2008 / Lokalausgabe

Andere Länder, andere Lehrbücher. Die Klever bei ihrem Besuch in Schweden.

ASTRID HOYER-HOLDERBERG

KLEVE. Völlig fasziniert kehren die Zwölft- und 13-Klässler des Physikkurses am Konrad-Adenauer-Gymnasium Kleve aus Schweden zurück. Sie erlebten fünf Tage eine Schule, die - wie häufig in Skandinavien - die besten Architekten errichtet haben. Das "Fenix (=Phönix) Kunskapszentrum" in Vaggeryd liegt am See, ist hell, viel Glas, viel Freiraum, Räume für ruhiges Lernen.

Klar war es toll, Freundschaften zu schließen. Toll, in 13 Gastfamilien zu leben, sich auf Englisch zu unterhalten. Spannend war es, gemeinsam physikalische Erkenntnisse zu gewinnen, Stockholm zu sehen und das Astrid-Lindgren-Museum. Vor allem aber hat das Schulleben die Klever tief beeindruckt.

Die Oberstufenschule Vaggeryd ist den 10. bis 12. Klassen vorbehalten (die Jahre zuvor verbringen schwedische Kinder in der Gesamtschule). "Der Lehrer steht nicht am Pult und doziert, er sitzt mit in der Gruppe, unterhält sich mit den Schülern," beschreiben Lena Küper, Charlotte Fischer, Marie-Hele´n Krümmel und Ann-Kristin Heckrath.

Eine Klasse hat nie mehr als 20 Schüler. Eine halbe Stunde gibt der Lehrer, den alle Kinder duzen, Input zu einem Thema, dann lässt er die Schüler sechs Wochen selbstständig in Zweier- und Dreiergruppen gut 90 Prozent des Lerninhaltes allein erarbeiten. Der Lehrer bleibt greifbar, aber im Hintergrund. Dann wird ein Test geschrieben, darauf gibt's die Noten.

Von "nachhaltigem Eindruck" berichten auch die Klever Lehrer Walter Gruitrooy und Werner Seuken. Letzerer akzeptiert das dortige System "modernster Pädagogik" einfach als "anders". Es setze "primär auf die Selbstständigkeit der Schüler und gewährleistet gleichzeitig eine optimale Betreuung durch das Lehrpersonal". Seuken urteilt: "Wir hätten hier weder die Bücher noch das Material, um vom Frontalunterricht wegzukommen".

Er schildert: "Die Kollegen in Vaggeryd unterrichten meist im Team, eher nach Klassen-Prinzip", nicht wie bei uns zu einzelnen Fächern. "Der Lehrer hat mehr beratende Funktion und eine andere Art, mit Schülern umzugehen. Sie werden erzogen zum selbstständigen Arbeiten". Der Kontakt zu Schülern und ihren Familien sei dort enger. "Die Kollegen wissen, welche Berufe die Eltern, welche Freunde die Kinder haben." Das sei in Deutschland deutlich anonymer.

Eine Schule am See

90 Prozent der schwedischen Kinder machen Abitur. Aber es gibt unterschiedliche Universitäten. Es gebe sieben Abitur-Programme, berichtet Seuken. Nur eines berechtigt zur freien Wahl aller Unis, die anderen begrenzen die Fachrichtungen. Selbstverständlich werden moderne Medien genutzt. Im "Fenix" stehen 300 Computer zur Verfügung - je einer für zwei Schüler. Im Vergleich: Am Konrad-Adenauer-Gymasium (ähnlich am "Freiherr vom Stein" Kleve) gibt es 50 Computer für 770 Schüler.

Die skandinavischen Kinder haben bis nachmittags Schule. Projektorientiert, mit weniger Fächern am Tag: morgens eines, nachmittags eines. "Fenix" ist auch in Schweden eine Versuchsschule. Es ist ein Bildungshaus in der Natur, in dem Bibliothek, Berufs- und Hochschulberatung integriert sind.

"Die Schulsachen sind kostenlos, das Mittagessen ist für alle umsonst, immer frisch, lecker, immer mit Salatbuffet", schwärmen die Klever Schülerinnen. Ausstattung bestens, Lerneifer bestens. Die Schweden investieren einfach viel mehr Geld ins Bildungssytem.

Es ist ein krasser Unterschied, wenn die K-A-G-ler aus dem Physikkurs der südschwedischen "11" nach fünf Tagen wieder in ihrer Klever Schule sitzen - in den Physikräumen, die sich Gymnasium und Hauptschule teilen, mit 15 Jahre überaltertem Arbeitsmaterial, das nun nach und nach ausgemustert wird. Und wo Mitschüler für den 3. März eine Demo vor dem Schulministerium vorbereiten. Sie fordern unter anderem: mindestens 30 Prozent höheres Bildungsbudget des Landes an die Kommunen.

DER SCHULAUSFLUG Den Kontakt zum "Fenix (=Phönix) Kunskapszentrum" in Vaggeryd gründete der Niederrheiner Olaf Hustadt (Wesel), der als Deutsch- und Sportlehrer auswanderte. Bisher fuhren Klever Gymnasiasten per Bus dorthin - 15 Stunden eine Tour. Diesmal hob das "Klassenzimmer" am Airport Weeze ab, eine Stunde Flug. (HoyHo)