Die Drei von der Aussichtsterrasse

08.03.2008 / Lokalausgabe, NRW

Flugzeug-"Sammeln" ist ihr Glück: Heinz Schlosser (60) und die Brüder Mai (18/12) nehmen in Düsseldorf Flieger ins Visier. (Fotos: Kai Kitschenberg) PHILIPP WAHL

DÜSSELDORF/REES. Nein, todesmutig oder lebensmüde ist Matthias Mai nicht. Trotzdem sagt der 18-Jährige aus Rees am Niederrhein ganz im Ernst, er wäre vor einer Woche gerne an Bord des Airbus A320 gewesen, als dieser beim Anflug auf Hamburg wie ein Papierflieger von Orkan Emma hin- und hergeschaukelt wurde. "Dass das verrückt ist, weiß ich selbst", gesteht er im Lärm auf der Aussichtsterrasse am Düsseldorfer Flughafen-Bahnhof. Dann wendet er sich mit seiner Kamera einer Boeing im Anflug zu. Sie schwebt ruhig zur Erde. Als Passagier hat Matthias es lieber, wenn die Luft löchrig und der Flug turbulent ist. Am Boden, an den Landebahnen Europas, liebt er den "Duft von Kerosin, den Sound der Triebwerke". Matthias ist ein sogenannter "Planespotter": Er fotografiert Flugzeuge. In Weeze, Düsseldorf - und überall sonst in Europa.

Auf diese schräge Idee hat ihn vor vier Jahren Heinz Schlosser gebracht, ein Essener Senior-Spotter. Er ist sich sicher: Mit dem Planespotter, der den Beinahe-Crash von Hamburg filmte und dessen Video über alle Sender lief, mit dem "habe ich gesprochen". Oben in Hamburg-Finkenwerder, am Zaun des Airbus-Werkes. Dort, so weiß der 60-Jährige, bekommen Spotter "die dollsten Bemalungen" auf den nagelneuen Maschinen zu sehen: Lackierungen fernöstlicher Fluglinien etwa, die in Europa nicht verkehren. "Da kommt man schnell mit Spotter-Kollegen ins Gespräch."

Dank seiner guten Kontakte zu Lufthansa-Technikern hatte Heinz Schlosser die spektakulären Fotos des taumelnden Flugzeugs vor einer Woche in seinem E-Mail-Fach, noch ehe das Video im Internet kursierte: "Für einen von uns ist das ein Glücksshot. Quasi Ostern und Weihnachten an einem Tag. Der Filmer ist jetzt ein Szene-Star". Internetseiten mit Bildern und Filmen von Abstürzen und Notlandungen aber gebe es nicht, versichert der Rentner. Im Wintersemester 2005/06 hat Schlosser übrigens Triebwerkstechnik in Aachen studiert. Rein aus Begeisterung an der Fliegerei.

Bundesweit gibt es geschätzte 3000 Spotter (siehe Box). Sie präsentieren ihre Fotos auf eigenen Internetseiten, in Foren und auf Plattformen. Auf www.airliners.net schaffen es nur die schönsten Aufnahmen. Drei von Matthias Mai sind auch dabei. Er hat 10 000 Flugzeuge zu Lande und in der Luft "abgeschossen", seit er 2004 Heinz Schlosser und dessen Hobby auf der Terrasse in Düsseldorf kennenlernte. Mit ihm jettet er seither kreuz und quer durch Europa. Matthias' Bruder Lukas (12) ist mittlerweile ebenfalls ein fleißiger Luftfahrer und Spotter. Warum? "Ich sammle Flugzeuge. Is' halt so."

Verspottet werden die Jungs für ihr Hobby von Gleichaltrigen nicht: "Die schütteln wie meine Eltern nur den Kopf." So auch im vergangenen Sommer: Da sind die Mai-Brüder mit Schlosser zehnmal im Billigflieger von Weeze nach London-Stansted abgehoben: um 6.30 Uhr hin, frühstücken, spotten, um 22.30 Uhr zurück an den Niederrhein."Fliegen ist besser als Achterbahnfahren", jubeln sie. Zumal, wenn ihnen am Ziel wahre Raritäten vor die Linse rollen: In Stansted landen Jets arabischer Prinzen und riesige Frachter, an Bord Textilien aus Fernost.

Ein unbekanntes Flugobjekt in Weeze

"Und in Palma", sagt Matthias, "sind noch McDonell Douglas MD 87 in Betrieb." Diese Krachmühlen sind 20 Jahre alt und viel zu laut für den deutschen Luftraum. Mit ein wenig Übung könnte Matthias wohl bei "Wetten, dass..?" antreten, um Flieger an ihrem Dröhnen bei Schub zu identifizieren. Das Lieblingstriebwerk des Handelsschülers bringt den A330-300 in Schwung: "Das hat ein herrliches Knattern, als wenn man mit einem Löffel auf einen Topf eindrischt."

Glücksmomente für Spotter, manchmal muss man dafür gar nicht raus in die weite Welt. Vor zwei Wochen landete Matthias mit Heinz Schlosser an seinem Heimatflughafen in Weeze, Rückkehr aus Alicante. Im Halbdunkel auf dem niederrheinischen Rollfeld erspähte das Duo plötzlich ein (zunächst) unbekanntes Flugobjekt: eine gewöhnliche Boeing 737-300 zwar, aber: "eine der chilenischen Armee". Die holte in Weeze ein Modellflugzeug ab. Eine Spotter-Sternstunde.

Aber: Es gibt auch Alltag. Auch für die in Weeze stationierten Billigflieger nimmt sich Matthias Zeit. Auf seinem Hügel neben dem Rollfeld wartet er zweimal pro Woche von 10 bis 18 Uhr - auf zehn Maschinen. Die Piloten kennen den Stamm-Zaungast, kurbeln das Cockpit-Fenster herunter und winken. Manche geben nochmal ein bisschen Gas und Matthias wabert verbranntes Kerosin in die Nase: Für ihn ist's "der Duft der Freiheit". (NRZ)

Junger Planespotter mit großer Bilder-Sammlung: Matthias Mai, 18, jettet für Jets durch Europa.