Wittke: "Man kann Verkehr nicht lenken"

NRZ, 22.11.2008  Essen. Oliver Wittke will mehr Straßen bauen und die Vorrangpolitik für die Schiene beenden.
Zudem sprach sich der nordrhein-westälische Verkehrsminister klar für Regionalflughäfen aus.

Herr Wittke, was halten Sie als Landesverkehrsminister davon, dass ein Unternehmen wie Solarworld einen Autobauer wie Opel kaufen will?

Oliver Wittke: Dieses Angebot sollte man sich durchaus im Detail anschauen. Die deutschen Automobilhersteller haben in der Markteinführung ein deutliches Defizit, was neue Technologien anbelangt. Von daher könnte ein Unternehmer wie Solarworld-Chef Asbeck sicherlich den Markt aufmischen, hat er doch gezeigt, dass er neue Technologieansätze wirtschaftlich erfolgreich umzusetzen vermag.

Ihr neuer Ansatz war, die Vorrangpolitik für die Schiene zulasten der Straße zu beenden. Ist das zeitgemäß?

Wittke: Wir werden in den nächsten Jahren eine deutliche Zunahme von Individual- und Güterverkehr haben. Angesichts dieser Lawine, die auf uns zurollt, verbietet es sich, eine Vorrangpolitik für irgendeinen Verkehrsträger zu machen. Wir müssen Schiene, Straße, Wasserstraße und Luftverkehr gleichermaßen ausbauen. Was die Straße betrifft, müssen wir Lücken schließen und Kapazitäten ausbauen, etwa bei der A52 zwischen Gelsenkirchen und Essen.

Der Autobahnbau genießt also Priorität in NRW?

Wittke: Wir brauchen den Autobahnausbau, um den Verkehr der Zukunft aufnehmen zu können. In der Vergangenheit ist ein Investitionsstau aufgetreten, weil Rot-Grün in NRW nicht genügend baureife Projekte entwickelt hat. Deshalb ist immer wieder Geld an den Bund zurückgeflossen. Jetzt werden wir in diesem und im nächsten Jahr zusätzliche 250 Millionen Euro verbauen können.

Ich bin übrigens dafür, die Finanzierung des Fernstraßenbaus aus dem Bundeshaushalt herauszulösen und in einer eigenen Gesellschaft zu verorten. Derzeit machen wir Infrastrukturpolitik nach Kassenlage. Es darf eigentlich nicht sein, dass Mittel aus der Erhöhung der Lkw-Maut für die Stopfung von Haushaltslöchern verwendet werden. Ich möchte, dass die Einnahmen, die mit der Straße generiert werden - wie die Maut oder die Mineralölsteuer - auch für die Straße zur Verfügung stehen.

Rot-Grün wollte aus Gründen des Lärm- und Umweltschutzes zusätzlichen Verkehr auf der Straße vermeiden. Das ist nicht Ihre Philosophie?

Wittke: Diese Philosophie ist mindestens naiv, wenn nicht ideologiegetrieben. Verkehrsvermeidungspolitik kann und wird die zukünftigen Probleme in einer globalisierten Welt nicht lösen. Wenn man nur die Hälfte des Verkehrszuwachses der nächsten Jahre auf die Schiene verlagern wollte, müsste man deren Kapazität verdoppeln. Das geht nicht. Und in der Vergangenheit sind alle Versuche gescheitert, Verkehr zu vermeiden. Man kann Verkehr nicht lenken.

Sie warten also einfach den Verkehrskollaps ab?

Wittke: Nein, wir versuchen einen Zwischenweg. Wir investieren in den Ausbau der Straße, setzen aber auch auf den öffentlichen Nahverkehr, wie den Rhein-Ruhr-Express als Korsettstange im größten deutschen Ballungsgebiet.

Mit dem Eisernen Rhein könnte Güterverkehr auf der Straße vermieden werden. Das Projekt ist an Finanzierungsfragen gescheitert.

Wittke: Das Projekt ist keinesfalls gescheitert. Richtig ist: Meine niederländischen und belgischen Kollegen und ich sind noch uneins über die Risikoverteilung bei einer Trassenziehung entlang der A52. Die Gespräche darüber werden jetzt intensiviert. Eine Realisierung dieses Projektes wäre wichtig, um die nächsten 30 bis 40 Jahre Ruhe zu haben.

Zum Luftverkehr: Der Flughafen Niederrhein ist längst noch kein "Euregionales Zentrum" für Luftverkehr und Logistik, wie er es eigentlich sollte.

Wittke: Mag sein. Aber wir sind nicht in der Situation, an irgendeiner Stelle Verkehrsinfrastruktur zurückbauen zu können. Es ist gut, dass die Bezirksregierung in Düsseldorf die Genehmigung noch einmal überarbeiten wird, um so für Planungssicherheit zu sorgen. Eines sage ich aber deutlich: Es wird für den Ausbau am Flughafen Niederrhein keine Landesmittel geben.

Wie beurteilen Sie es, dass Essen-Mülheim ein solches Schattendasein fristet?

Wittke: Essen-Mülheim wäre ein guter Geschäftsreiseverkehrslandeplatz, und ich bedaure es sehr, dass er diesen Status noch nicht hat. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Ratsmehrheit in Essen den "kleinen Düsenflug" da nicht haben will, obwohl das erwiesenermaßen nicht mehr Lärmbelästigung bringen würde. Das ist schade.

N R Z